Ein Bericht aus dem „Westfälischen Nachrichten“ vom 3. August 1946:
Heimat für unsere Flüchtlinge
Sie haben alles verloren - Wir wollen helfen
”Sei uns gegrüßt, du neue deutsche Heimatl“ Dies stand geschrieben an dem Waggon eines Flüchtlingszuges. Wie sah der Mann oder die Frau aus, aus deren Herzen dieser Ruf kam? Welche Schicksale hatten die Menschen hinter sich, die eng gedrängt mit armseliger Habe in dem Waggon zusammensaßen und nun einem Ziel entgegenfuhren, das ihnen im einzelnen noch nicht einmal bekannt war? „Neue deutsche Heimatl“ Die alte hatten sie verloren. Alles hatten sie dort zurücklassen müssen, was dem Leben Halt, Stärke, Sicherheit gibt. Sie waren von Haus und Hof vertrieben, aus ihren Wohnungen ausgewiesen worden. Beruf und Arbeit waren ihnen genommen. Ausgehalten hatten sie, als Polen ihr Land besetzten. Sie wollten sich von dem geliebten Heimatboden nicht trennen. Sie wollten die Hoffnung nicht aufgeben. dass ein neues Leben in der Heimat möglich sei, wenn auch unter schwersten Bedingungen. Krankheiten und Hunger kamen, sie darbten und litten. Sie wurden bestraft für den Hass, den das Hitler-System gesät hatte. Die Ernte ging furchtbar auf. Sie selber hatten nicht mitgehasst, aber da gab es keine Unterscheidung mehr.
Alle Deutschen mussten das Land verlassen. Ein Weniges nur durften sie mitnehmen, das zum nackten Leben Notwendigste. mit dem irgendwo wieder der Anfang einer Wohnung und eines Haushalts gemacht werden konnte. Aber auch dieses Wenige war vielen auf der Fahrt und Wanderung noch genommen. Sie besaßen oft gar nichts mehr, sie waren ganz arm geworden. Und da schrieben sie an den Waggon, der sie von der Zonengrenze ab dem Ort entgegenbrachte, wo der neue Anfang versucht werden musste: „Sei gegrüßt, du neue deutsche Heimatl“ Hoffnung nach Leid, Bitternis und Hoffnungslosigkeit. Es würde sich ein Plätzchen finden, das wieder Heimat werden könnte. Sie waren viele hundert Kilometer durch deutsches Land gewandert und gefahren, vom äußersten Osten bis hin zum Westen. Sie hatten einen Begriff von Deutschland bekommen. den' sie vorher noch nicht hatten. Wie groß und weit war dieses Land, in dem Deutsche wohnten.
Alle jetzt geeint in einer großen Schicksalsgemeinschaft. Für alle war der Krieg verloren, die Siegermächte hatten jeden Zoll breit Boden besetzt. Überall müsste nun auch Heimat sein. Die, die hatten wohnen bleiben dürfen auf altem geliebtem Heimatboden, mussten neuen Heimatraum schaffen für die, die ihr Heimatland hatten verlassen müssen. Man sehnte sich der neuen Heimat entgegen. Man musste sie finden. Ohne Heimat konnten sie, die Flüchtlinge, nicht sein. Kein Mensch kann ohne Heimat sein.
Der Waggon mit dem Grußwort an die neue deutsche Heimat hielt an der Station eines westfälischen Flüchtlingsdurchgangslagers. Ärztliche Untersuchung, Registrierung. Dann Abtransport in Dörfer des Kreises und umliegende Bauernschaften, Einweisung in Privatquartiere. Sagten da irgendwo Mann und Frau, Hausvater und Hausmutter, Bauer und Bäuerin: „Seid gegrüßt Ihr Flüchtlinge! Wir wollen Euch neue Heimat schaffen!“? Sah man es den Räumen an, dass sie, wenn auch mit bescheidenen Mitteln, wohnlich zum Empfang gemacht waren? Standen da Bettstellen, Schrank. Tisch, Stühle? War schon eine Herdstelle eingerichtet oder doch Platz für einen Ofen geschaffen, auf dass fürs Erste schon mal gekocht werden könnte?
Ja. es hat bestimmt solche Ausnahmen gegeben. in denen der Hauch einer neuen Heimat die Flüchtlinge anweht. Aber es ist auch das geschehen: Flüchtlinge sind wieder auf den Marktplatz zurückgefahren worden. Es sei kein Platz für sie. Die Besatzungsmacht hat eingegriffen und Aufnahme für die Flüchtlinge erzwungen. Beschämend für die, die es angeht. Wie haben sie ihrem Stand geschadet. wie die mit in Verruf gebracht, die doch willig und hilfsbereit die zugewiesenen Flüchtlinge aufgenommen hatten. Schlimmeres noch wurde angerichtet: ln den Flüchtlingen wurde die Hoffnung zerschlagen. Dieser Lebenskeim, der sich auf der Fahrt zaghaft, aber doch unabweisbar wieder geregt hatte, war vernichtet worden. Sei gegrüßt, du neue Heimat“, hatte an einem Waggon des langen Flüchtlingszuges gestanden. Wo war sie? Sollte es möglich sein, dass sie nicht mehr gefunden wurde? Dann wäre ja alles verloren, verloren nicht nur für die Flüchtlinge, sondern für das ganze deutsche Volk. Wie würde es sein Schicksal bestehen, wie wieder zu lebendiger Einheit erstarken können, wenn es nicht mehr Willen und Kraft genug hätte, Heimatlosgewordenen auf deutschem Boden neue Heimat zu schaffen?
Eingesandt von Werner Bartsch